Alleinsein

Das partnerschaftliche Zusammenleben zweier Menschen ist keine Versicherung gegen Einsamkeit und Alleinsein. Schon die berufliche Tätigkeit sorgt dafür, daß man einen großen Teil des Tages getrennt verbringt. Nach der Arbeit freut man sich meistens, daß man nun endlich zusammensein kann. Wenn dann von einem Partner der Wunsch geäußert wird, alleine zu sein, fühlt sich der andere mit großer Wahrscheinlichkeit zurückgestoßen. Ihm ist es unverständlich, daß man nicht jede freie Minute zusammen verbringt. Nicht selten entsteht daraus ein heftiger Streit.

Manche Menschen haben ein übertriebenes Anklammerungsbedürfnis, sie können es einfach nicht ertragen, allein zu sein. Wozu geht man man dann eigentlich eine Beziehung ein, wenn man dann doch wieder alleine gelassen wird?

Man sollte nie vergessen, daß eine Partnerschaft aus zwei eigenständigen Individueen besteht. Wird die eigene Identität zugunsten (oder zu Lasten) des Partners vollkommen aufgegeben, dann ist ein Zusammenleben ernsthaft gefährdet. Wer sich für den anderen weitgehend aufopfert und die eigenen Bedürfnisse zurückstellt, wird seinen Partner eher verlieren, als ihn stärker an sich zu binden.

Alleinseinkönnen, sich selbst beschäftigen und seinem Partner zugestehen, daß auch er gelegentlich das Bedürnis hat, sich zurückzuziehen, das sind Elemente einer Beziehung, die eher zur Festigung als zur Entfremdung beitragen.

Es wird im Leben immer Situationen geben, mit denen man alleine fertig werden muß. Man kann nicht jede Minute zusammen verbringen und alle Gefühle teilen.

Auch in sehr intimen Beziehungen benötigt jeder Partner seinen eigenen Freibereich. Er dient dazu, sich seine Identität zu bewahren und mit seinen ganz privaten Konflikten ins reine zu kommen. Wer sich in einer Beziehung nicht seine Eigentständigkeit bewahrt, sich von seinem Partner mit "Haut und Haaren" aufsaugen läßt, der degradiert sich selbst zum wertlosen Mitläufer. Solche Menschen haben extreme Verlustängste, die sie durch Abhängigkeitstendenzen zu kompensieren versuchen.

Jeder Mensch benötigt ab und zu Zeit, in der er auf sich allein gestellt ist. Das ändert sich auch nicht, wenn man eine Beziehung eingeht. Nach wie vor steht neben dem Bedürfnis nach Geselligkeit auch das Verlangen, alleine zu sein. Das sollte man nie vergessen und dementsprechend handeln.

Psychologen betonen immer wieder, daß Kinder einen eigenen Bereich benötigen, in dem sie spielen, sich aber auch einfach nur zurückziehen können. Eltern haben dafür Verständnis und versuchen, ihrem Kind nach Möglichkeit einen eigenen Raum zu geben.

Daß der Erwachsene aber ganauso seinen Freiraum braucht, wird oft übersehen. Das heißt nun nicht, daß man unbedingt einen Hobbyraum oder ein Malatelier braucht. Es ist durchaus möglich, zusammen im gleichen Zimmer "allein zu sein". Man signalisiert dann seinem Partner, daß man vorübergehend nicht ansprechbar ist. Es gehört schon einige Toleranz dazu, solche Wünsche zu respektieren, ohne sich zurückgestoßen zu fühlen.

Gerade die zeitweise Trennung ermöglicht es einem sich selbst zu erforschen und mit sich selbst "klar zu kommen". Die so erworbene intakte persönliche Identität ist ein sehr wichtiger Beitrag für eine erfüllte Partnerschaft.

Wer aber keine Möglichkeit hat, sich auf sich selbst zu besinnen, der kann seinem Partner auch nichts von sich abgeben.

Kurzfristige Trennung und Alleinsein können durchaus zur Festigung und Vertiefung einer Beziehung beitragen.


(von Manfred Saniter)

 

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